17. - 23. Oktober 2011
Lesen sie hier Besprechungen der Filme des Film-Festivals DOK-LEIPZIG von Marc Eberhardt, Robert Hamacher, Jens Willms und Maximilian Lange.
Reaktionen, Kritiken, Ergänzungen bitte an: film@hfg-karlsruhe.de
(ausschließlich Premieren im Wettbewerb um die Goldene Taube)
Jury: Christine Dollhofer, Jörg Adolph, Alfred Holighaus

MEANWHILE IN MAMELODI
EIN BRIEF AUS DEUTSCHLAND
Regie: Sebastian Mez, 50 Minuten, Deutschland 2011
Sehnsucht, Aufbruch, Resignation steht auf Texttafeln. Jedes dieser Worte beschreibt einen Abschnitt im Leben einer Frau, genauer genommen dreier Frauen. Im Film heißen sie Blanka, Ileana und Robina. Sie kommen aus Rumänien, Slowenien und Ungarn. Alle drei werden in Deutschland zur Prostitution gezwungen. „Ein Brief aus Deutschland“ ist ein Versuchsaufbau, nur über die Tonebene diese Frauen und ihrem Schicksal näher zu kommen.
Es sind Geschichten, die man häufig hört und meistens wieder vergisst. Geschichten über Männer die sich, mit „Murat“ oder „Pawel“ in kleinen osteuropäischen Dörfern vorstellen und den Frauen dort von der schönen Zukunft im Westen erzählen. Und, dass sie es sind, die sich um alles kümmern, also um Papiere und die Reise. Gehen diese Frauen auf solch verlockende Angebote ein, finden sie sich bald in furchtbaren Verließen wieder. Neben dem psychischen und physischen Leid, dass sie ertragen müssen, bleibt die ökonomische Ausweglosigkeit. Sie wollen Geld nach Hause schicken, haben aber keine Papiere mehr und „leben“ in einem Land, in dem sie sich illegal aufhalten. Die Erzählerinnen berichten übereinstimmend von dieser Ausgangssituation. Die Inhalte variieren. Während Blanka und Robina an ihre Schwestern schreiben und sehr offen über die Ausweglosigkeit und Verzweiflung sprechen, wahrt Ileana in dem Brief an ihre Kinder den Schein eines erfolgreichen westlichen Lebensentwurfs.
Wie kann man sich von dieser Qual, Menschenverachtung und dem Leid ein Bild machen? Der Vorschlag des Filmes ist es, aus einzelnen Filmstills ein Gefühl für die Räume zu kreieren. Es werden die Heimatorte und die Wohnungen der Frauen gezeigt, selten wird die Kamera bewegt, eigentlich nur am Ende eines Absatzes.
In Momenten funktioniert diese Stilisierung gut, man sieht verrauschte Bilder von säuberlich beschrifteten Überwachungskameras, kurze Zeit später schwebt die Kamera, in Farbe, durch die soeben gezeigten Räume. Auch Frauen werden gezeigt. Frauen, die aus einem fahrenden Auto auf dem Straßenstrich fotografiert werden. Diese schwarz-weiß Fotos, die lange stehen gelassen werden und alle eine vollständige Bewegungsunschärfe haben, bekommen etwas Rätselhaftes, bleiben aber austauschbar. Formal geht dieser Film prima auf. Doch es bleibt ein Unbehagen. Im Abspann wird erklärt, dass die Figuren der Frauen aus verschiedenen Lebensläufen zusammen geschnitten sind, und die Sprecherinnen „ordinary women“ sind, die diese Texte eingelesen haben, damit man keine Rückschlüsse auf die Stimmen ziehen kann. In diesem Moment bricht die Laborkonstruktion ein.
Sie bricht ein, da auf einmal alle Elemente des Filmes beliebig werden. Vielleicht wäre für diese erschütternden Briefe, die Form eines Hörbildes besser und letztlich mutiger gewesen.
Regie: Bernhard Sallmann, 64 Minuten, Deutschland 2011
Der 64 Minuten lange Film von Bernhard Sallmann besteht aus 64 statischen, hart aneinander geschnittenen Kameraeinstellungen. Alle Bilder stammen aus einem Ort im oberösterreichischem Alpenland, in der der Regisseur seine Kindheit verbrachte. Der Film hat seinen Titel von einem Ackerfeld, das sich in Sallmanns Familienbesitz befand und keine guten Voraussetzungen für die landwirtschaftliche Nutzung bot. Im Dritten Reich ließen die Nationalsozialisten dort ein Arbeitslager für französische Kriegsgefangene errichten, die für den Bau der Autobahn eingesetzt wurden. Das erste Filmbild zeigt einen Topshot auf diese Autobahn – offensichtlich von einer Brücke aufgenommen. Es erscheint der Titel. Die zweite Einstellung zeigt von einem erhöhten Standpunkt einen Überblick des Ortes. Im Vordergrund ein schneebedecktes Feld, dann ein alter Gutshof, die Autobahn, ein großes Einkaufzentrum und im Hintergrund Wohnhäuser. Auf dem nächsten Bild sind Grabsteine zu sehen. Ein großes steinernes Denkmal steht im Vordergrund. Es folgt ein Bild aus dem Wald, Blätter rascheln, der Boden ist stellenweise schneebedeckt, in einiger Entfernung führt ein Weg vorbei. Dann wieder das Denkmal in drei verschiedenen Einstellungsgrößen. Einzelne Worte der Inschrift sind zu entziffern, u.a. „Todesmarsch“. Dann wechselt der Standort in einen Innenraum, vermutlich eine Grabkammer. Eine Büste des Komponisten Anton Bruckner ist zu sehen. Dann wieder eine Totale der Autobahn. Hier beginnt Sallmanns Voiceover, ein von ihm gesprochener Text, der den Film bis zum Ende begleitet. Sein auditiver Rückblick auf seine Kindheit führt über den Wandel der Agrarwirtschaft zum Jagdgewehr seines Opas, der Revierjäger und Förster war, und einen Menschen damit erschoss. Sallmann erzählt, dass sich seine Tanten in den Aussagen über diesen Vorfall widersprechen. Eine sagt, es war ein Fallschirmspringer, eine andere, es war ein KZ-Häftling. Geschickt führt Sallmann den Zuhörer immer wieder von seiner persönlichen Familienchronik auf gesamtgeschichtliche Zusammenhänge. So erzählt ein wesentlicher Teil seines Textes von der Zeit des NS-Regimes und dem unsagbar grauenhaften Todesmarsch vieler KZ-Häftlinge, der durch seinen Heimat-Ort führte. Augenzeugenberichte werden zitiert und lassen, trotz der nüchternen Landschaftsbilder, das Grauen erahnen. Von Durst und Hunger verzweifelte Menschen fallen über Rapsfelder her, eine Mutter wird vor den Augen ihres Kindes erschossen, weil sie vor Erschöpfung zusammenbricht. Ihr Leichnam wird über eine Brücke in den Fluss geworfen. Die Brücke wird im Bild gezeigt.
Als Zuschauer fällt es mir schwer, dieses Kinoerlebnis als Film zu bezeichnen; es ist eher ein Monument und steht im Kino, wie ein Gedenkstein in der Landschaft: schwer und bedeutsam.
(Jens Willms)
CARTE BLANCHE
Regie: Heidi Specogna, 93 Minuten, Schweiz, Deutschland, 2011
Eine „Carte Blanche“ erteilt dem Empfänger eine uneingeschränkte Vollmacht oder Handlungs-freiheit. Es ist nicht zwingend eine echte Karte, auch kein formulierter Befehl, vielmehr ist es ein Signal. „Wie ein Kopfnicken“. So beschreibt ein Kollege des Hauptanklägers Jean-Pierre Bembas die geschickte Vorgehensweise, die der ehemalige Anführer der politisch militärischen Befreiungsbewegung „Mouvement de Libération du Congo“ (MLC) gegen den Machthaber Laurent-Désiré-Kabila genutzt hatte, um sich nun, 10 Jahre später, den Anschuldigungen entziehen zu können – Vergewaltigung, Verletzung der Menschenrechte, Kriegsverbrechen. Als Bemba die Verhandlung des Internationalen Strafgerichthofs betritt, scheint er nicht sonderlich besorgt zu sein, manchmal meint man ihn sogar lächeln zu sehen. Es wird eine Art Vorverhandlung, um die Anklagepunkte zu ordnen, einen Überblick zu bekommen. Einen Moment später sitzen wir weit weg von Den Haag in einem kongolesischen Dorf bei einer Frau und ihrem Sohn, der vor Schmerzen zusammengekrümmt daliegt, als ihm die Mutter das Bein mit eingekochten, heilenden Blättern desinfiziert. Die große offene Wunde, die er am Knie trägt, will nicht heilen, seit sieben Jahren. Solange ist es her, dass die Soldaten, von Bemba losgeschickt, in das Dorf kamen, dort Männer und Frauen vergewaltigten und dem kleinen Jungen durchs Kniegelenk schossen.
Familie Bemba lebt in einem großen Haus, wohlhabend, friedlich. Frau Bemba zeigt uns einige Dinge, die ihr Mann in seiner Haft getöpfert hat – eine Tasse, darauf das Wort Papa, eine Schale für Obst, eine Blumenvase. Ein Foto zeigt den Papa zusammen mit der Familie, glücklich schauen sie in die Kamera. Jetzt ist er weg, der Ehemann, der Vater.
Heidi Specogna erzählt aus vielen Perspektiven, sie verfolgt die Arbeit eines Gerichtsmediziners und einer „Opfer-Expertin“, schaut der Verhandlung in Den Haag zu und spricht mit den Opfern und Angehörigen. Es gehe ihr um die Emotionen der Leute, sagt sie in der Podiumsdiskussion, darum, was sie fühlen. Es werden viele Protagonisten vorgestellt und begleitet. Sie erzählen von ihren Erlebnissen und dem, was sie fühlen. Die Geschichte Jean-Pierre Bembas umfasst allerdings eine lange Zeit und viele Schicksale, sie ist sehr komplex. In 90 Minuten diesen vielen Menschen in ihrer Gefühls- und Lebenslage gerecht zu werden, ist sehr schwierig oder vielleicht gar nicht möglich. Zum Schluss bleibt mir der Junge mit den verletzten Knie im Kopf. Das meiste andere verschwindet mit dem Verlassen des Saals.
(Robert Hamacher)
EINE ANLEITUNG, UM DIE VERGANGENHEIT ZU ÄNDERN
Regie: Antje Engelmann, 40 Minuten, Deutschland 2011
Der Film von Antje Engelmann ist, wie sie selbst sagt, ein Ich-Film. Von ihr selbst produziert, gefilmt und geschnitten, setzt sie sich und ihre Vergangenheit in Szene. Engelmann wurde 1980 in Ulm geboren und studierte an der Universität der Künste in Berlin. Sie wuchs in der Tradition der Donauschwaben auf und versucht in ihrem 40minütigen Film sich diesen Wurzeln zu nähern.
Ihre Großeltern waren Ungarndeutsche und wurden nach Kriegsende aus ihrer Heimat vertrieben, sodass Engelmanns filmische Reise nicht nur nach Berlin und Ulm führt, sondern auch durch Kroatien, Österreich, Slowenien und sogar nach Entre Rios in Brasilien. Das verwendete Bildmaterial besteht aus Schnipseln aus dem privaten Filmarchiv ihrer Eltern, sowie Stücken eines Hollywood Films mit sprechenden Löwen und eigenen Aufnahmen, die den Charakter eines Videotagebuchs haben. Dabei ist durchgehend die Stimme der Regisseurin aus dem Off zu hören. Es fallen viele klug anmutende Sätze, denen meistens die Bemerkung vorangestellt wird: „Jemand hat einmal gesagt“. „Jemand hat einmal gesagt: Ich möchte gerne wissen, was einer denkt, nicht woher er kommt.“ „Jemand hat einmal gesagt: Autografie ist keine Biografie.“ (So hab ich es zumindest vom Hören notiert.) „Jemand hat einmal gesagt, man muss der Zone der Vertrautheit fremd geworden sein, um sie wiederzusehen.“ Was Engelmann dem Publikum sagen will, bleibt hingegen eher ein Rätsel. Im Film kommentiert sie, dass sie Filme mache, um das Leben und sich selbst besser zu verstehen.
Als ich den Namen der Filmemacherin in Google eingebe, ist auf der ersten Seite ein Bild mit einer achtbusigen Frau zu sehen. Hierbei handelt es sich, wie ich später auf ihrer Webseite herausfinde, um einen Videoloop. Ebenso findet sich dort ein Videoclip mit dem Titel „Spucke“, der zwei Münder zeigt, die sich Spucke zusabbern. Ein gewitzter Kinobesucher in der Reihe hinter mir brachte es nach der Filmvorführung passend auf den Punkt: „Das kann man entweder voll doof oder voll geil finden“. Auf jeden Fall ist es relativ geistlos. Geistvoll war jener deutsche Dichter der schrieb: „Ewig still steht die Vergangenheit.“
(Jens Willms)
SCHÖNHEIT
Regie: Carolin Schmitz, 80 Minuten, Deutschland 2011
Amor, Aphrodite und Eros, kleine weiße Figuren, die lieblich lächeln, sind die eigentlichen Protagonisten dieses Filmes. Mal zieren sie ein Blumenbeet, vor dem ein Mann, von seinem Fitnesstrainer angeleitet, Bauchübungen macht, mal sitzen sie bei einem Arzt auf dem Tisch, der sich soeben Botox gegen seine Zornesfalte gespritzt hat. Dieser Film findet eine Antwort auf eine Frage, die sich den Göttern aus Kunststein nicht stellt, nämlich: Wie hängt Form mit dem Inhalt zusammen?
In festen Einstellungen präsentieren sich Menschen und ihr Lebensinhalt, der hier heißt: Schönheit. Was ist sie und wie kann ich sie bekommen. Immer und in jedem Alter.
Der Film ist keine Charakterstudie, eher zeigt er Menschen, die sich einem bestimmten Diskurs verschrieben haben, sei es beruflich oder aus Leidenschaft. Sie arbeiten als Autohausbesitzerin oder als Landschaftsgärtner. Sie haben keine Namen. Die junge Autohausbesitzerin scheint alles in ihrem Leben im Griff zu haben. Ihren Mann hat sie in der Firma ihrer Eltern untergebracht, ihre Brüste sind ihr wichtig und ihr Auto ist wie ein zweites Ich: „edel, schick, sportlich.“ Eine andere blonde Frau ist Mutter und leitet ein Internetforum, das alle Fragen zu Brustoperationen beantwortet. Während sie Buletten knetet erzählt sie von ihren „Sister“-Treffen. Bei diesen Treffen ist „blank ziehen“ angesagt, damit man die unterschiedlichen Ergebnisse der Operationen in den Händen halten kann. In rheinischer Lockerheit berichten uns sowohl die Patienten, als auch die Ärzte und der Brustkissenvertreter detailliert, wie sich ihre Behandlungen abgespielt haben und welche Ergebnisse damit erreicht wurden und werden. Man kann einiges lernen, in diesem Film. So hört man von „Po-Bleeching“ und „Unterpolsterung der Vaginalwand“.Man begreift, dass es beim „facelifting“ nicht nur um den Umgang mit altersbedingtem Fett-Überschuss, sondern vor allem um die Neupositionierung der Fettverteilung geht. „Mit einem Zug kann man das ganze Gesicht hochziehen.“ Weiterhin kommt es bei einer Brustvergrößerung nicht so sehr auf die Menge des Implantats an, sondern ob es sich um ein anatomisches oder rundes Implantat handelt. Diese können dann nochmal in natürliche und texturierte Implantate unterschieden werden. Wer eine Einführung in diese Themen möchte, schaue sich diesen Film an.
Das letzte Bild ist die Quintessenz dieses Filmes - die Form findet ihren Inhalt. Es ist eine Nahaufnahme von zwei Brüsten, aus denen Schläuchen Flüssigkeiten absaugen. Diese Brüste liegen frei, alles andere ist mit grüner Krankenhausfolie bedeckt. Die Brüste werden dann von unsichtbarer Hand von unten nach oben geklappt. Sie kommen also auf uns zu.
Dieser Film kommt auch auf uns zu. Schönheit heißt hier schön selber denken und beurteilen.
(Marc Eberhardt)
DER PAPST IST KEIN JEANSBOY
Regie: Sobo Swobodnik, 74 Minuten, Deutschland, 2011?
Manchmal sprechen Menschen nach einem (Dokumentar-)Film davon, dass dieser besonders authentisch war. Meint man damit etwa, der Film war besonders echt ??
So.
?Echtheit.
?Eine Wohnung in Wien. Die Wohnung ist nicht ordentlich, der Mann, der in ihr lebt, nicht schön im Sinne von werbetauglich. Aber der Mann ist lebendig. Nach einem Schlaganfall und einer Hirnblutung ist Hermes Phettberg eine Körper-Masse geworden, die sichtlich schwer in Bewegung zu setzen ist.
Sein Zugang zur Welt ist Sprache. Er schreibt Tagebucheinträge. In denen stehen Fragen wie „Wie funktioniert Gott?“ neben einer Auflistung der Lieferung von „Essen auf Räder“. Phettberg möchte 109 Jahre alt werden und er träumt von Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger. Am liebsten waren ihm aber immer die Jeansboys. Da wird er heute noch verrückt. Er zeigt Photos von Bondage und SM-Seiten aus dem Internet: Männer in aufgerissenen Jeans, nur ihre Pospalten oder verschnürten Penisse. Die Photos hat er einzeln ausgedruckt und blättert große Stapel durch.?Sobo Swobodnik hat Hermes Phettberg eine Woche lang in seiner Wohnung besucht. Er hat nicht dort gewohnt, aber er kam mittags und ging jeden Tag um 5 Uhr in der Früh. Swobodnik und Phettberg umstreifen einander, jeder gibt dem anderen Raum. Einmal bleibt Phettberg mitten im Raum stehen, weil ihm ein Wort nicht mehr einfällt, er stottert, setzt neu an, bricht wieder ab, dreißig, vierzig, fünfzig Sekunden wartet man mit ihm, bis es kommt. Er sagt: „Pfirsichkompot“. Phettberg kommentiert: „Es geht doch.?
Zwischendurch werden Interviews mit Menschen gezeigt, die in seinem Leben vorkommen, die Phettberg aber alle des Lügens bezichtigt.
Die Bilder sind schwarzweiß. Es werden Texttafeln eingeblendet, auf denen mit weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund Sexgesuche von Männern auf öffentlichen Toiletten in Wien bekannt gegeben werden. Diese Blenden sind durchnummeriert bis zur Elf, die zwölfte Blende fehlt. Eine Erlösung gibt es nicht. Hermes liegt weiterhin auf dem Bett.
?Dieser Film hört seinem Protagonisten zu, läßt ihm den Freiraum das Alltägliche zu tun, mit all dem Verzweifeln, der Angst vor dem Tod, der Freude an der Sprache. Am Ende sitzen Phettberg und sein Nothelfer auf der Couch. Er berichtet, wie er Hermes aus dem Krankenhaus abgeholt hat, damit sie zur Premiere des Stücks „Mea Culpa“ von Christoph Schlingensief ins Burgtheater fahren können. Hermes zog seinen Krankenhauskittel nicht aus und traf nach der Vorführung auf Schlingensief. Der sagte: „Hermes, nun sind wir beide fast schon tot - aber noch nicht.“ Hermes lehnt bei diesen Worten seinen Kopf auf die Schulter des Mannes. Sein Gesicht nimmt kindliche Züge an. So simpel ist Geborgenheit. „Und jetzt ist der Christoph tot“, sagt der Nothelfer.?
Phettberg nahm und nimmt sich ein anarchistisches Recht auf seine eigene Geschichte.
Wie dieser Versuch in unseren durchorganisierten Begriffen von Mensch und Gesellschaft verunmöglicht wird, das zeigt dieser Film. Dabei kommt er ohne den Versuch aus, solche Begriffe wie Authentizität oder Echtheit füllen zu wollen, und das gelingt „wahrlich, wahrlich.“?
(Marc Eberhardt)
So.
?Echtheit.
?Eine Wohnung in Wien. Die Wohnung ist nicht ordentlich, der Mann, der in ihr lebt, nicht schön im Sinne von werbetauglich. Aber der Mann ist lebendig. Nach einem Schlaganfall und einer Hirnblutung ist Hermes Phettberg eine Körper-Masse geworden, die sichtlich schwer in Bewegung zu setzen ist.
Sein Zugang zur Welt ist Sprache. Er schreibt Tagebucheinträge. In denen stehen Fragen wie „Wie funktioniert Gott?“ neben einer Auflistung der Lieferung von „Essen auf Räder“. Phettberg möchte 109 Jahre alt werden und er träumt von Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger. Am liebsten waren ihm aber immer die Jeansboys. Da wird er heute noch verrückt. Er zeigt Photos von Bondage und SM-Seiten aus dem Internet: Männer in aufgerissenen Jeans, nur ihre Pospalten oder verschnürten Penisse. Die Photos hat er einzeln ausgedruckt und blättert große Stapel durch.?Sobo Swobodnik hat Hermes Phettberg eine Woche lang in seiner Wohnung besucht. Er hat nicht dort gewohnt, aber er kam mittags und ging jeden Tag um 5 Uhr in der Früh. Swobodnik und Phettberg umstreifen einander, jeder gibt dem anderen Raum. Einmal bleibt Phettberg mitten im Raum stehen, weil ihm ein Wort nicht mehr einfällt, er stottert, setzt neu an, bricht wieder ab, dreißig, vierzig, fünfzig Sekunden wartet man mit ihm, bis es kommt. Er sagt: „Pfirsichkompot“. Phettberg kommentiert: „Es geht doch.?
Zwischendurch werden Interviews mit Menschen gezeigt, die in seinem Leben vorkommen, die Phettberg aber alle des Lügens bezichtigt.
Die Bilder sind schwarzweiß. Es werden Texttafeln eingeblendet, auf denen mit weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund Sexgesuche von Männern auf öffentlichen Toiletten in Wien bekannt gegeben werden. Diese Blenden sind durchnummeriert bis zur Elf, die zwölfte Blende fehlt. Eine Erlösung gibt es nicht. Hermes liegt weiterhin auf dem Bett.
?Dieser Film hört seinem Protagonisten zu, läßt ihm den Freiraum das Alltägliche zu tun, mit all dem Verzweifeln, der Angst vor dem Tod, der Freude an der Sprache. Am Ende sitzen Phettberg und sein Nothelfer auf der Couch. Er berichtet, wie er Hermes aus dem Krankenhaus abgeholt hat, damit sie zur Premiere des Stücks „Mea Culpa“ von Christoph Schlingensief ins Burgtheater fahren können. Hermes zog seinen Krankenhauskittel nicht aus und traf nach der Vorführung auf Schlingensief. Der sagte: „Hermes, nun sind wir beide fast schon tot - aber noch nicht.“ Hermes lehnt bei diesen Worten seinen Kopf auf die Schulter des Mannes. Sein Gesicht nimmt kindliche Züge an. So simpel ist Geborgenheit. „Und jetzt ist der Christoph tot“, sagt der Nothelfer.?
Phettberg nahm und nimmt sich ein anarchistisches Recht auf seine eigene Geschichte.
Wie dieser Versuch in unseren durchorganisierten Begriffen von Mensch und Gesellschaft verunmöglicht wird, das zeigt dieser Film. Dabei kommt er ohne den Versuch aus, solche Begriffe wie Authentizität oder Echtheit füllen zu wollen, und das gelingt „wahrlich, wahrlich.“?
(Marc Eberhardt)
?PEAK?
Regie: Hannes Lang, 89 Minuten, Deutschland/Italien 2011
Regie: Hannes Lang, 89 Minuten, Deutschland/Italien 2011
?Was macht man in den Tiroler Alpen, wenn die Globale Erwärmung Schneefall und so den Tourismus gefährdet? Künstlichen Schnee.
Dass die Produktion von Kunstschnee einen Kostenaufwand von ca. 500.000 Euro für 24 Stunden Betrieb bedeutet, zeigt, dass entweder die Einnahmen oder die Hoffnung auf bessere Zeiten entsprechend hoch ist. Für viele der Bewohner und Arbeiter, die seit vielen Jahren in den Bergen leben, sind die Aussichten auf solche Tage aber in fast unerreichbare Ferne gerückt. Die Investoren der Schneeproduktion scheinen so schnell nicht abzutauen – immerhin, sie haben viel zu verlieren. Und die rückläufige Touristenzahl? Wird bald überwunden sein.
?Weniger an Spekulation als vielmehr an die eigene Erfahrung glauben - so kommen die übrigen wenigen Dorfbewohner in der Nähe der Stadt Sölden zu einem anderen Ergebnis: Eine Zukunft gibt es nicht. Das Durchschnittsalter hat die 60 bereits hinter sich gelassen, die Jugend lebt in den Städten, nicht in einem Bergdorf. In einer anderen Kleinstadt begleiten wir einen älteren Mann. Es ist Sommer und es herrscht Totenstille. Wir schleichen durch leere Straßen, wie nach einer Evakuierung, vorbei an Spermüll, an Müll, den die Leute kurzerhand aus dem Fenster auf die Straße geworfen haben. Denn wenn sie nicht mehr sind, ist keiner mehr. Und wofür dann noch aufräumen? Mit einem verbitterten Lächeln gibt uns die Mutter eines Bauern noch einen guten Rat: Rette sich wer kann. Bald ist niemand mehr da.
?Weniger an Spekulation als vielmehr an die eigene Erfahrung glauben - so kommen die übrigen wenigen Dorfbewohner in der Nähe der Stadt Sölden zu einem anderen Ergebnis: Eine Zukunft gibt es nicht. Das Durchschnittsalter hat die 60 bereits hinter sich gelassen, die Jugend lebt in den Städten, nicht in einem Bergdorf. In einer anderen Kleinstadt begleiten wir einen älteren Mann. Es ist Sommer und es herrscht Totenstille. Wir schleichen durch leere Straßen, wie nach einer Evakuierung, vorbei an Spermüll, an Müll, den die Leute kurzerhand aus dem Fenster auf die Straße geworfen haben. Denn wenn sie nicht mehr sind, ist keiner mehr. Und wofür dann noch aufräumen? Mit einem verbitterten Lächeln gibt uns die Mutter eines Bauern noch einen guten Rat: Rette sich wer kann. Bald ist niemand mehr da.
Aber wer kann das, und was heißt das, sich retten? Vielmehr als sich selbst wird es den Betreibern des Skigebiets zum Anliegen, den Schneeproduktion zu retten, und damit sich. Aber die Gletscher tauen auf und verlagern sich vermehrt in die höheren Lagen. Ein schluchtartiges Loch, mit Baggern ausgehoben und mit Beton ausgekleidet, soll nun das Wasser, das die Gletscher abgeben, speichern und für die Schneeherstellung verfügbar machen. Ein nächster Schnitt, der an die eiskalte Architektur der Skianlagen und Produktionshallen anknüpft und den Begen ein weiteres Stück Natur raubt. Es ist der Versuch, Herr über etwas zu werden, das seine Autorität nicht mehr unter Beweis stellen muss.?
In farbenprächtigen, wunderbar komponierten Kino-Breitbildern, stets zur richtigen Zeit am richtigen Ort von der Kamera eingefangen, werden die Relationen verdeutlicht. Wirkt die neu angelegte Betongrube zuerst noch geradezu monströs, schrumpft sie im nächsten Bild wie eingeschüchtert auf eine lächerlich kleine Größe. Die Totale auf die nächste Ebene gehoben, ruht still dominierend hinter der kleinen Grube ein gigantisches Gebirge, wie ein Raubtier mit seiner Beute. Auch als endlich die Touristen da sind, sich in ihren umständlichen Skianzügen bis zum Sitzlift vorkämpfen, selbst dann lässt der Blick von außen, von oben, kein Geheimnis offen, und nur wenig Hoffnung. Während die Urlauber über die vorgefertigten Pisten den Abhang hinunterfahren, fasst die Kamera erneut zusammen, was hier passiert. Aus der Ferne sehen wir eine Welt, in grau-braunen Fels gehauen, durch die hindurch sich ein schneeweißes Rinnsal schlängelt, angetrieben von Maschinen, in Israel hergestellt, und Touristen aus aller Welt. Wie lange das gut gehen wird, weiß kein Mensch. Das bleibt das Geheimnis der Berge.?
(Robert Hamacher)
In farbenprächtigen, wunderbar komponierten Kino-Breitbildern, stets zur richtigen Zeit am richtigen Ort von der Kamera eingefangen, werden die Relationen verdeutlicht. Wirkt die neu angelegte Betongrube zuerst noch geradezu monströs, schrumpft sie im nächsten Bild wie eingeschüchtert auf eine lächerlich kleine Größe. Die Totale auf die nächste Ebene gehoben, ruht still dominierend hinter der kleinen Grube ein gigantisches Gebirge, wie ein Raubtier mit seiner Beute. Auch als endlich die Touristen da sind, sich in ihren umständlichen Skianzügen bis zum Sitzlift vorkämpfen, selbst dann lässt der Blick von außen, von oben, kein Geheimnis offen, und nur wenig Hoffnung. Während die Urlauber über die vorgefertigten Pisten den Abhang hinunterfahren, fasst die Kamera erneut zusammen, was hier passiert. Aus der Ferne sehen wir eine Welt, in grau-braunen Fels gehauen, durch die hindurch sich ein schneeweißes Rinnsal schlängelt, angetrieben von Maschinen, in Israel hergestellt, und Touristen aus aller Welt. Wie lange das gut gehen wird, weiß kein Mensch. Das bleibt das Geheimnis der Berge.?
(Robert Hamacher)
?Ein Paar, sie im Dirndl, er mit Lederhose und Hackbrett posiert vor einer schneebedeckten Berglandschaft. Eine romantische Postkarte im Cinemascopeformat, wären da nicht diese gigantische Kabeltrommel im Vordergrund und, wie man auf den zweiten Blick sieht, die langen Kabel der Skilifte am Horizont.
Harter Schnitt, Dunkelheit, dumpfe und tosende Klangkulissen, die den Kinosaal zum erzittern bringen, Scheinwerfer in der Ferne. Schneeraupen bahnen sich ihren Weg durch die Nacht, Scheinwerfer reflektieren im Staub der Kunstschneekanonen. Apokalyptische Weiten durch das Objektiv einer RED in einem Klangbett aus Wind und Schneegestöber künden vom Ende der Alpengletscher. ?So beginnt PEAK, eine gemächlich erzählte schöne Endzeitballade über die Probleme und Herausforderungen des Massenskitourismus und der von ihm abhängigen Menschen.?Zwischen den visuell zeitgemäßen und ansprechenden Kamerafahren durch die Mondlandschaften der Tiroler Alpen lässt der Film die Menschen der Region zu Wort kommen. Der Regisseur nähert sich langsam und beobachtend den Menschen bevor das erste Wort fällt, als wolle er die Ruhe der Berge nicht stören. Vielleicht aber verdeutlicht er so auch die Kluft zwischen der Natur und den Menschen der Region, die schweigend fast hilflos in den gigantischen Kulissen einer vergangenen Heimat posieren. Als ahnen sie, dass sie sich entwurzelt haben, blicken sie vorbei an den Stahlträgern und gelben Plastikröhren der Kunstschneemaschinerie.
?Die Stille, das Rauschen der Berge und Menschen die alleine durch die Weite streifen sind wiederkehrende Motive.
?Im Kontrast dazu sieht man das Leben einfacher Süditroler Bergbauern, die die 70 schon überschritten haben und als letzte ihrer Art noch immer hart arbeiten, während die jüngeren Generationen schon längst in die Städte gezogen sind. Sie repräsentieren eine Verbindung mit der Umwelt, die die Mitarbeiter der diversen Tourismusunternehmen verloren haben. Doch auch die Bauern sprechen vom Aussterben ihrer Kultur, vom Schrumpfen der Felder und Abhandenkommen der Liebe.?
Der Film ist voller Melancholie und Resignation, die sich zum Teil als Technologiebegeisterung tarnt, wenn der Pressesprecher vor dem fahlen Licht einer Powerpointpräsentation über die Investitionen in immer modernere Kunstschneeverfahren spricht, die das unvermeidliche Abschmelzen des Gletschers verlangsamen sollen.?
Die Kompositionen aus Bergpanorama und Betonanlagen sind stimmig, zum Ende neigt der Film jedoch zur Wiederholung. Aha-Momente in den Interviews sind selten, die ersten fünf Bilder erzählen bereits, was uns die folgenden 90 Minuten erwartet.
Mehr Charakterzeichnung hätte dem Film sicherlich gut getan, eine Balance zu den bildgewaltigen Aufnahmen herzustellen. Alles in allem aber ein empfehlenswerter Dokumentarfilm, den man in jedem Fall auf der Leinwand sehen sollte.
?(Max Lange)
GENERATION KUNDUZ – DER KRIEG DER ANDEREN
?Regie: Martin Gerner, 80 Minuten, Deutschland 2010?
?Regie: Martin Gerner, 80 Minuten, Deutschland 2010?
Martin Gerner, der Regisseur und Produzent des Films „Generation Kunduz“ berichtet seit Jahren als freier Korrespondent für deutsche Radiosender und Zeitungen aus Afghanistan. Es verwundert daher nicht, dass sein 80minütiger Film eine journalistische Handschrift trägt. Episodenhaft werden die Lebensumstände junger Afghanen erzählt, die eines gemeinsam haben: Sie leben in Kunduz, einer Stadt im Nordosten Afghanistans, ein Ort, der seit Jahren durch Terror und Präsenz der Taliban-Miliz und NATO geprägt ist. Nazanin, Khatera und Ghulam sind drei junge Menschen, denen Gerner in seinem Film Gehör schenkt. Zwischen strenger islamischer Tradition und Sehnsucht nach Modernität versuchen sie ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Nazanin ist die Älteste von vier Geschwistern und betreibt gegen den Willen ihrer Familie eine Radiostation. Khatera wollte eigentlich Schauspielerin werden, was ihre Eltern verboten. Nun arbeitet sie immerhin hinter der Kamera und hilft Ghulam bei seinen Filmprojekten, der sich als Drehbuchautor und Schauspieler versucht. Wegen seines modernen Outfits ernte er häufig spottende Blicke, sagt er. Sein Lieblings-Genre ist der Liebesfilm. „In Afghanistan scheitern die Verliebten immer“, sagt Khatera im Interview. Mirwais hat vom Verliebtsein sicherlich noch nicht so viel Ahnung. Mirwais ist ein kleiner Junge im Grundschulalter und zieht mit einem kleinen Koffer voller Putzzeug durch die Straßen, fremden Leuten die Schuhe zu putzen. Er verdiene etwa einen Euro am Tag, sagt er. Dafür könne er sich Brot kaufen. Die Schule käme dafür zu kurz.?
Latent zeigt sich immer wieder die omnipräsente Gefahr durch den Krieg. Am Horizont lodern die Flammen eines Bombardements, Militärfahrzeuge rasen halsbrecherisch durch die Straßen, erzählt ein Mann beim Autofahren. Der verheerende Luftschlag auf von Taliban entführte Tanklaster im September 2009, bei dem viele Zivilisten, auch Kinder getötet wurden, wird so fast beiläufig in die Erzählung eingeflochten. Ebenso wird von Vorbereitungen und Ablauf der Wahlen berichtet. Ein junger Wahlhelfer hat Mühe der Bevölkerung die Prozedur einer gültigen Stimmabgabe zu erklären. In einigen Regionen könne er seine ehrenamtliche Arbeit gar nicht ausüben; zu Groß sei die Gefahr auf Widerstand der Taliban zu stoßen. Das Gerücht hat sich verbreitet, Talibankämpfer schnitten Wählern die Finger ab. Vorbehalte und Misstrauen gegenüber dem ausländischen Filmemacher werden immer wieder hörbar.
Gerners Film liefert einen tieferen Einblick in die Lebensumstände und Jugendbewegung in Afghanistan, als es die Reportagen in den bekannten Fernsehsparten tun.
?(Jens Willms)
MEANWHILE IN MAMELODI
Regie: Benjamin Kahlmeyer, 75 Minuten, Deutschland 2011
Moskito spielt Fußball. Sie ist die einzige in ihrer Familie, die das mit Stolz behaupten kann. Sie ist stolz darauf, etwas zu machen, das ihr Spaß macht und das nichts mit der Arbeit zu tun hat, die ihr Vater in seinem kleinen Geschäft verrichten muss, um die Familie zu ernähren. Sie ist jung und träumt von vielen Dingen, entwirft eigene Pläne vom Leben, unter einem Wellblech, das die siebenköpfige Familie überdacht. Zuerst Pilotin, dann Paläntologin – jetzt Fussballstar. Die Fußballweltmeisterschaft ist dieses Jahr im eigenen Land und von dem kleinen Township Mamelodi aus feuern die Dorfbewohner ihre südafrikanische Mannschaft an. Mit Gesang, mit Geschrei – und Vuvuzelas. Das trompetenartige Instrument gehört zur sportlichen Tradition der Afrikaner. Es begleitet nicht nur ein einzelnes Spiel mit dröhnenden Klängen. Es markiert Anfang und Ende eines Traums, den Südafrika mit der WM 2010 träumt und der für den Gastgeber leider viel zu schnell vorbeigeht. Ein Traum von Erfolg, von Anknüpfung an die westliche Welt, von Anerkennung. Eine Utopie um die Ecke. Und noch vor dem Achtelfinale ist Schluss. Für Moskito und ihre Familie kein Grund ihrerseits aufzugeben. Sowohl Vater Steven, als auch die pubertierende Tochter sprechen von Karriere, vernünftigem Taschengeld und dem „Big Business“. Es ist eine sehr lange Erfolgsleiter mit vielen kleinen Sprossen. Umso erstaunlicher ist der Optimismus dieser Familie. Dabei haben sich die Lebensumstände in den letzten Jahren vor allem verschlechtert. Nachdem Steven seinen Job gekündigt hatte, der ihm zwar mehr Geld, dafür aber wenig Unabhängigkeit einbrachte, stand der Umzug an – von einem Haus mit fünf Zimmern in eine Wellblechhütte. Steven schaffte den Sprung in die neuen Umstände, seine Frau nicht. Sie wurde erst physisch krank, bald psychisch labil. Der Vater kümmerte sich fortan um alles: die Arbeit, die Kinder und seine Frau. Die Kraft zum Träumen hat er noch. Zu seinem kleinen ersten Geschäft soll ein zweiter Laden, ein Container ein paar Straßen weiter hinzu kommen. Denn so wie es jetzt ist, soll es nicht bleiben. Er will „something great“ schaffen, für sich und dafür, dass seine Kinder ein anderes Leben haben werden.?
Den Film begleitet eine Musik, die, mal dem Freejazz, mal afrikanischer Trommelmusik zugewandt, an geeigneten Stellen zu be- und entschleunigen weiß. So treibt ein schneller Rhythmus kraftvoll Moskitos Fußballspiel an, während sich betäubend langsame Basslinien auf die Stimme des Vaters legen, wenn er von der schweren Arbeit „seven days a week“ erzählt. Die farbsatten Bilder und die immer wieder inszenierend arbeitende Regie lassen den Film selbst zu einem kleinen Traum werden. Der erzählt von einer Familie, die mit Armut und Perspektivlosigkeit zu kämpfen hat und dabei nie aufhört, an die Möglichkeit eines besseren Lebens zu glauben. Verletztende Erfahrungen, Erzählungen von Krankheit und Leid werden zu einem vorbeiziehenden Schatten, dahinter strahlt unbeirrt ein helles Licht der Hoffnung.
Den Film begleitet eine Musik, die, mal dem Freejazz, mal afrikanischer Trommelmusik zugewandt, an geeigneten Stellen zu be- und entschleunigen weiß. So treibt ein schneller Rhythmus kraftvoll Moskitos Fußballspiel an, während sich betäubend langsame Basslinien auf die Stimme des Vaters legen, wenn er von der schweren Arbeit „seven days a week“ erzählt. Die farbsatten Bilder und die immer wieder inszenierend arbeitende Regie lassen den Film selbst zu einem kleinen Traum werden. Der erzählt von einer Familie, die mit Armut und Perspektivlosigkeit zu kämpfen hat und dabei nie aufhört, an die Möglichkeit eines besseren Lebens zu glauben. Verletztende Erfahrungen, Erzählungen von Krankheit und Leid werden zu einem vorbeiziehenden Schatten, dahinter strahlt unbeirrt ein helles Licht der Hoffnung.
(Robert Hamacher)
?Angst haben die Protagonisten in dem Film „Meanwhile in Mamelodi“ nicht. Oder besser gesagt wir erfahren davon nichts. Während der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika verfolgen wir den Alltag einer Familie. Diese Familie wohnt in einem Township von Pretoria. Steven der Vater kümmert sich liebevoll um seine pubertierende Tochter Lerato, genannt Moskito, und seinen kleinen Sohn. Steven ist Betreiber eines kleinen Ladens, in dem man von Vuvuzelas bis einzelne Zigaretten so ziemlich alles kaufen kann. Die Familie (mit Mutter) wohnt in der Extension 11 in einer Hütte. Der Kleine hat Ohrenschmerzen, die dadurch verursacht werden, dass eine Perle in seinem Ohr steckt. Moskito, als leidenschaftliche Fußballerin, würde gerne alle Spiele der WM sehen, sie wird allerdings nur eines im Stadion miterleben können. Steven ist stets darum bemüht „business“ zu machen. Das heißt, er möchte seine beiden Neffen, die für ihn in seinem Laden arbeiten, anleiten, wie man Geld verdient. Geld, weiß er, braucht man für Bildung. Diese will er seinen Kindern ermöglichen, denn Bildung ist der „key to sucess“. Steven ist jemand, den man gerne zum Freund haben würde. Als er mit seinem Sohn das Krankenhaus aufsucht, sieht man in einer Einstellung, was ihn als einen guten Vater ausmacht. Eine große Nonne beugt sich über den Kleinen, misst die Temperatur in seinen Ohren, Steven sitzt hinter dem Kind. Während der medizinischen Prozedur spannt Steven sein Gesicht an, verzerrt es vor Schmerz. Als sich aber sein Sohn weinend zu ihm umdreht, strahlt er wie so oft in diesem Film und alles wird halb so schwer, halb so qualvoll. Der Film von Benjamin Kahlmeyer strahlt genau so wie seine Protagonisten. Er unterlegt die wunderbaren Bilder, mit einem groovigen Filmsound, verbindet so Bilder der „business“-Welt des Vaters mit der Lebenswelt seiner Tochter. Lerato träumt von einem Leben jenseits des Townships. Sie weiß, dass sie dazu unabhängig sein muss, sich also auch nicht auf irgendwelche Jungs einlassen darf bis sie 21 Jahre alt ist. Tut man dies, davor warnt uns auch ihre Mutter, bekommt man nur Ärger. Steven ist der Motor des Filmes. Unermüdlich ackert er um seine Familie durchzubringen. Es sind schöne Momente dabei, als er die Welt einlädt nach Mamelodi, denn er ist sich sicher, dass wir alle so eine tolle Siedlung noch nicht gesehen. Auch sein Lied über den Boss, dem man keine Macht über sich zugestehen soll, denn nur als Selbständiger, als jemand der sein eigenes „business“ macht, kann man froh werden.
Soweit, so prima. Eine deutsche, weiße Filmcrew fährt in ein Township nach Südafrika, welches von dunkelhäutigen Menschen besiedelt ist. Während alle Welt, vornehmlich die westliche, sich um die Weltmeisterschaft kümmert, begleiten wir meanwhile in Mamelodi den Alltag dieser Familie.?
Ein Film ist eine Geschichte, die in Bildern erzählt wird. Dies schafft dieser Film. Nur wünsche ich mir, dass er genauer hinsieht, z.B. was mit der Mutter wirklich los ist, warum sie sich häufig lethargisch ins Bett zurück zieht und ihren Mann sämtliche Verantwortungen zumutet. Oder welches Bild haben Steven und seine Familie von uns im Westen? Ich wünsche mir weniger schöne Einstellungen. Einstellungen, in denen Kameras frontal auf der Motorhaube montiert wurden oder im Tiefflug über das Township schweben. Ich wünsche mir, dass etwas mehr bleibt, als der Eindruck eines feel-good-movies.?
(Marc Eberhardt)
Soweit, so prima. Eine deutsche, weiße Filmcrew fährt in ein Township nach Südafrika, welches von dunkelhäutigen Menschen besiedelt ist. Während alle Welt, vornehmlich die westliche, sich um die Weltmeisterschaft kümmert, begleiten wir meanwhile in Mamelodi den Alltag dieser Familie.?
Ein Film ist eine Geschichte, die in Bildern erzählt wird. Dies schafft dieser Film. Nur wünsche ich mir, dass er genauer hinsieht, z.B. was mit der Mutter wirklich los ist, warum sie sich häufig lethargisch ins Bett zurück zieht und ihren Mann sämtliche Verantwortungen zumutet. Oder welches Bild haben Steven und seine Familie von uns im Westen? Ich wünsche mir weniger schöne Einstellungen. Einstellungen, in denen Kameras frontal auf der Motorhaube montiert wurden oder im Tiefflug über das Township schweben. Ich wünsche mir, dass etwas mehr bleibt, als der Eindruck eines feel-good-movies.?
(Marc Eberhardt)