crossing europe / Linz 2013
Tepenin Ardi / Beyond the Hill
The Chemical Brothers: Don’t Think
Eine Möglichkeit zu Leben / Das Nowhere Train Tagebuch
Vaters Garten – Die Liebe meiner Eltern
L`enfant d`en haut / Sister / Winterdieb
Gabriela Pichler, Sweden 2012, Wettbewerb / Competition 2013
Rasa schiebt trotzig ihr Kinn nach vorn und kaut. Ständig. Sie springt durch die Gegend, beschwert sich und ist laut. Ihren Vater liebt sie, genauso wie alle anderen in ihrem Umfeld. Wenn sie auf der Gemüseverpackungsfabrik eintrifft, grüßt sie alle, macht sich lustig. Sie hat Schneid. Dann wird verkündet, dass Stellen gestrichen werden. Sie beobachtet den Vorarbeiter, der auf die Arbeiter im einzelnen zugeht, um ihnen zu sagen, dass sie entlassen sind. Sein Gesicht verzieht sich ekelhaft in dem sich hinter ihm befindenden Spiegel. Dann dreht er sich um und geht auf sie zu.
Ihr kranker Vater ist auf Montage, bekommt keine ärztlichen Atteste für die Sozialhilfe, die Heizung funktioniert nicht, ihre Klamotten sind alt und verbraucht, sie hat keinen Job und einen zu finden gestaltet sich als eigentlich unmöglich, auch aufgrund ihrer muslimischen Wurzeln. Eigentlich ist alles verbockt, doch sie schiebt ihr Kinn vor und kaut. Ihr ist es egal, sie bemüht sich trotzdem, unermüdlich sucht sie sich etwas zu tun.
Dieser Plot hat eigentlich Potenzial eklig zu werden. Das sich alles auszahlt, wenn man nur genug Kraft dahintersetzt, dabei werden oft die Umstände der Menschen in solchen Lebenslagen ausgeblendet. Doch dieser Film vermeidet genau das. Er zeigt die unumwerflichen privaten Umstände in den Leben der schwedischen einkommensschwachen Arbeiterschicht. Das sich Überarbeiten, den Alkoholismus, die Arbeitslosigkeit und Chancenlosigkeit. Doch dieser Film lässt dabei allen ihre Würde, er überzeichnet nicht und wird nicht zu einem arroganten Film von oben herab, der seine Protagonisten aus der Unterschicht in Klischees presst und alle Menschen auf einen Prototypen der einkommensschwachen und bildungsfernen Schicht reduziert.
Dieser Film zeigt Gutes, er zeigt die starke Verbundenheit zwischen Tochter und Vater, die sich rührend umeinander kümmern, weil sie ausschließlich sich haben, die Freundschaft zwischen Rasa und einem Jungen, den Zusammenhalt zwischen Verpackungsfabrikarbeitern und Menschen die in einem Viertel gemeinsam Leben.
Schönheit zeigt sich bei diesem Film immer in der Lösung von Problemen. So artet das Nichtkommen zum Rummelplatz von Rasas traurigem Freund nicht in einen Streit aus, sondern in ein umeinander kümmern. Sie besucht ihn, bemalt sein Gesicht mit Rummelplatzschminke, gemeinsam schweigen sie und laufen über ein Feld. Irgendwie stets tröstlich.
(Phil Zumbruch)
Tepenin Ardi / Beyond the Hill
Emin Alper, Turkey / Greece 2012, European Panorama Fiction 2013
Beyond the Hill beginnt mysteriös.
In der Egoperspektive geht man durch einen Wald auf eine Lichtung hinzu und schaut wie - wem auch immer man gerade durch die Augen - frische Setzlinge kaputt schlägt. Schnitt.
Ein Vater kommt mit seinen beiden Söhnen auf seinem wilden Landstück an. Der Großvater kultiviert zusammen mit Onkel und Tante das Land während des Sommers. Der Vater spricht von dem schönen Ruhestand des Großvaters, dieser spricht von Arbeit und Pflicht. Das Landstück ist paradiesisch. Ein Fluss am Fuße eines Hügels schenkt der schroffen türkischen Landschaft Leben. Vom Grün der Flora über die Felsen hinweg spannt sich ein dunkelblaues Himmelszelt über den Hügel.
Sulu, ein weiterer junger Mann aus der Familie, zieht tags wie nachts mit seinem Hütehund durch die Wildnis, während ein offensichtlich psychisch erkrankter Enkel im Fluss badend auf eine Armeeeinheit stößt und später auch unverständliche Pläne mit dieser abmacht. Am präsentesten ist jedoch das große Thema des Großvaters. Nomaden leben jenseits des Hügels und achten nicht auf die Pachtrechte der Familie. Angeblich haben ihre Schafe die neuen Setzlinge zerstört, so nahm Großvater ihnen eine Ziege. Der Wahn des Großvaters, hinter jedem Rascheln einen Nomaden zu vermuten und mit der geladenen Waffe das Land zu bewachen, beginnt sich im Laufe so hoch zu schaukeln, dass sich eine allgegenwärtig gefühlte Bedrohung gegenüber der Familie einstellt. Die Betonung liegt auf gefühlt. Tatsächlich sieht man die Nomaden nie. Teilweise kommt sogar der Verdacht auf, dass es gar keine Nomaden gibt. So beginnt der Film sich Stück für Stück als Allegorie zu entlarven. Sämtliche Heimlichkeiten und Konflikte innerhalb der Familie werden auf die vom Großvatereingepflanzte Angst vor den Nomaden projiziert.
Letztendlich nimmt die Glaubhaftigkeit der eigentlichen Geschichte immer mehr ab und man beobachtet ein reines Sinnbild für die Gesellschaft, welche aufgrund ihrer Xenophobie einen vermeintlichen Bösewicht findet, um die eigenen Probleme von sich zu weisen. Dies klingt wohl platt und auch redundant, auch mit Blick auf das offene Ende des Films in welchem man die Männer der Familie zum Takt eines Militärmarschs mit Waffen bepackt den Hügel ersteigen sieht. Der Film schafft es jedoch auf geschickte Art zu differenzieren. Gezeigt werden intersubjektive Mechanismen welche dazu führen, dass eine Lüge aufrecht erhalten wird, von der jeder Täter, dessen Unrecht den Nomaden zugeordnet wird, weiß, dass es diese nicht gibt. Der Schutz aller anderen Schuldigen wird unter der Prämisse akzeptiert, dass auch das eigene Übel verdeckt bleibt. Selbst ein Endkonflikt (=Krieg) wird akzeptiert um die Lage aufrecht zu erhalten.
Die größte Stärke des Film ist sicherlich sein Bemühen, seine eigene Absicht vorerst zu verschleiern, um den Zuschauer erst im Laufe der Geschichte langsam zum unbeteiligten Beobachter zu machen, welcher, nun von der Sinnbildlichkeit des Films wissend, die aufgezeigten Entscheidungen der Familie rein mechanisch beobachten kann. So wird dem Zuschauer keine Falle gestellt, in welcher er später als Xenophob entlarvt wird. Drehbuch und Charakterentwicklung zeigen große Sensibilität darin, den Zuschauer geschmeidig und unverletzt aus dem dramaturgisch affektierten Zustand in den losgelöst Eingeweihten zu bringen. Das ist höflich.
Letztendlich macht dieser Film mehr Spaß zu schauen als darüber zu reden oder zu schreiben. Landschaft, Schauspiel und Kamera sind hervorragend, vielleicht hätte man aber doch lieber einen Film gesehen, der sich nicht vollends in die Allegorie inklusive offenem Ende flüchtet und sein dramatisches Potenzial auf halber Strecke vollends abtötet, beziehungsweise als Munition für eine riesige unübersehbare Allegoriekanone verpulvert.
(Philipp Ernst)
The Chemical Brothers: Don’t Think
Adam Smith, Great Britain 2012, European Panorama Documentary
Tom Rowlands und Ed Simons, besser bekannt als Chemical Brothers, begeistern seit mittlerweile 2 Jahrzehnten tausende von Menschen mit ihren elektronischen Beats.
Don`t think ist die die erste Dokumentation des gleichnamigen Konzerts des Duos, begleitet von einer bombastischen Lichtshow, drei riesigen LED-Leinwänden und komplett durchweg animierte Visuals, die exakt mit dem Rhythmus der Musik korrelieren.
Portraitaufnahmen, ekstatisch feiernder Konzertbesucher, entführen, in die absurd verzerrte Welt der Sinnestäuschung.
Wie paralysiert sitzt man vor der Leinwand, während man sich kaum dieser furchtbar dynamischen Bilder entziehen kann. Brillierend, verstörend, schön.
Die Dokumentation hält das Level und ist eine gelungene, durchkalkulierte Momentaufnahme einer ganzen Partygerneration, die es immer wieder von neuem schafft, den Zuschauer in den Bann der Extase zu ziehen.
Nicht nachdenken sondern hinsetzen und bereit machen für über eine Stunde Adrenalin pur.
Zum Glück aber findet auch dieser Trip ein Ende. Wer sich also im technischen Bereich der Visualisierungen Inspiration verschaffen will, wird mit grosse Augen diesen Film verlassen können.
(Elenya Bannert)
Eine Möglichkeit zu Leben / Das Nowhere Train Tagebuch
Jakob Kubizek, Peter Sihorsch, Austria 2012, Local Artists 2013
Roadmovies sind out. Wie kann eine Reise filmisch neu beschrieben werden, wenn es schon tausende Filme gespickt mit Aufnahmen aus Zügen oder Autos gibt, das ganze unterlegt mit Musik aus eben jener Gegend oder die der Protagonisten. Im Nowhere Train Tagebuch ist das nicht anders und es wurde auch nicht versucht eine eigene Filmsprache zu zeigen. Klassisch einfach dokumentieren die Filmemacher mit ihrem leichten Equipment die frisch zusammen gewürfelte Nowhere-Train-Combo. Auch wenn es sich anfühlt, als würde über Jahre die halbe Welt bereist, geht es lediglich durch Österreich und auch nur 12 Tage. Fünf Musiker, zwei Filmer, ein Schriftsteller. Und auf einem Bauernhof wird noch ein Praktikant eingepackt.
Die Landschaft fliegt vorbei und die mittelmäßige Tonqualität des dazu gespielten Liedes hat ihre Berechtigung: die Musik wird gerade im Regionalzug performt, geprobt, geschrieben. Ebenso die Worte der beschreibenden Off-Stimme, die warm, besonnen und poetisch angehaucht aus dem Tagebuch des Schriftstellers stammen mögen.
Eine Band auf Tour. Ohne großes Equipment, ohne Lichtshow und ohne Konzerttermine. Gespielt wird dort, wo es einen Schlafplatz und was zu Essen gibt, also auf Bauernhöfen, in Wohnzimmern, auf schwimmenden Badeinseln, Bahnhofsvorplätzen, auf Wiesen, in Wäldern, mit und ohne Publikum. Am Ende ein Gig in der Justizvollzugsanstalt Garsten, in der es keine Übernachtung gab, dafür das schöne Gefühl die vergitterten Fenster wieder verlassen zu dürfen. Eine Neue Art von Freiheit.
Die Combo hat sich für die Reise und die Idee des Nowhere Trains frisch formiert und spielt immer noch zusammen (4 Jahre später).
Musik als notwendiger Ausdruck und Tauschmittel für das nötigste. Non Profit. Musik leben und schauen wie weit man damit kommt. „Eine Möglichkeit zu leben“ eben. Mit offenen Armen sind sie raus gegangen und genauso empfangen worden. Die Bestätigung, das dieser alte Lebensstil funktioniert, scheint alle Beteiligten nachhaltig geprägt zu haben. 3 Jahre später werden sie wieder aufgesucht und die dabei entstandenen Interviews zeigen Menschen die von einer bewegenden Zeit sprechen, von einem Leben ohne Sicherheiten, ohne zu wissen was am nächsten Tag sein wird. Ein freies Leben eben.
Man sieht dem Film an, dass ihm ebenso wie dem Performen der Musik eine Notwendigkeit zu Grunde liegt. Auch wenn er filmisch nicht überrascht, hinterlässt er am Ende ein Gefühl der Leichtigkeit. Eine Ode an den Aufbruch, das Reisen, die Gemeinschaft und das Experiment. Reisefilme bleiben schwierig.
Die Nachhaltigkeit steckt für mich als Betrachter nicht in den Bildern sondern in der hochgradig positiven Endstimmung, die frei von profitablen Gedanken zum Machen auffordert und zeigt, dass es einfach geht.
(Benjamin Breitkopf)
Vaters Garten – Die Liebe meiner Eltern
Peter Liechti, Switzerland 2013, European Panorama Documentary 2013
Abenddämmerung, ein Bild vom Mond. Wolken ziehen vorbei. Der Regisseur Peter Liechti spricht: „Vor einigen Jahren entdeckte ich meinen eigenen Vater auf der Straße, wir hatten uns länger nicht gesehen. Ich hatte meinen Vater noch nie zufällig getroffen, draußen im öffentlichen Raum. So verloren kam er mir vor, der alte Mann - dort in der Mitte der Fremde. Als er mich dann auch sah, zeigte er ein überraschtes Lächeln. Was machst du denn hier und wie geht es dir denn so? Wir waren beide verlegen. Warum konnten wir uns nicht richtig umarmen, bei diesem Wiedersehen, warum verhielten wir uns wie zwei Ertappte? Zwei Jahre nach dieser Begegnung habe ich mich entschlossen einen Film über meine Eltern zu machen.“
Ein gelber Vorhang geht auf. Zu sehen sind zwei Hasen-Handpuppen auf einer Kaspertheaterbühne. „Setzt euch doch bitte!“ Die Hasen setzen sich. „Genau so. Etwas näher bitte.“ Etwas widerwillig setzen sie sich näher zueinander. Nach dieser Szene befindet man sich im Wohnzimmer mit den richtigen Eltern. Das Sofa steht frontal zur Kamera und die gleiche Situation passiert noch einmal. Das Interview beginnt. Peter: „Würdest du nochmal so einen Sohn wählen?“
Peter Liechti fuhr in die Schweiz, dokumentierte seine über achtzigjährigen Eltern im Alltag und führte insgesamt 10 Interviews mit jedem Elternteil. Die gestellten Fragen waren identisch. Inszenierte Szenen mit zwei Hasenpuppen auf einer Theaterbühne spielen die interviewten Eltern nach. Die Puppen sprechen deutsch. Der ständige Wechsel, zwischen Hasenpuppentheater und dokumentarischen Aufnahmen aus dem Alltag der Eltern, zieht sich durch Liechtis Film. Sich selbst stellt er als menschliche Puppe mit Glatze und überproportional großer Nase dar, die auf viele Szenen reagiert und sowohl durch Gestik als auch durch Musik seine Gefühlslage zum Ausdruck bringt.
Die Mutter liegt im Bett, sie hat sich eine Rippe gebrochen. Starr liegt sie dort auf der Tagesdecke. Zweimal ist sie schon aus der Badewanne gefallen sagt sie zu ihrem Mann, als er ihr aus dem Bett hilft. Auf die Frage hin, warum der Vater keinen Griff an die Wand schraubt, antwortet er nur, dass man aus Prinzip keine Löcher in die Plättchen (Kacheln) bohrt und es wegen der paar Jährchen, die ihnen noch bleiben, eh keinen Sinn machen würde sie zu zerstören. „Was denken denn da die Nachmieter“, merkt er an. Peters Vater ist ein sehr korrekter Mensch, der so „normal“ wie möglich sein möchte. In seinem Garten, in dem er die meiste Zeit des Jahres verbringt, hat alles seine Ordnung. Mit einem ausgefeilten Plan wird gearbeitet und abgehakt, was schon gemacht wurde. Penibel genau und mit viel Geduld wird mit einem Rechen die Erde gestampft und als er von den Gärten der Nachbarn spricht fällt kein gutes Wort. Für seine Frau gibt es Haushaltsgeld, welches er fein säuberlichst in Schubladen unterteilt, die vorschreiben für was es auszugeben ist. Die Mutter war zwar die meiste Zeit Hausfrau, doch kurz hatte sie auch gearbeitet. Den Lohn musste Sie abgeben, sagt sie, und als sie sich später ihre Rente auf ihr eigenes Konto ausbezahlen lassen hat, redete ihr Mann ein halbes Jahr fast nicht mehr mit ihr. „Was macht das denn für einen Eindruck auf dem Amt, wenn die Frau ihr eigenes Konto führt?“
Peter: „Wer bestimmt in der Wohnung?“
Vater: „Dafür haben wir kein Reglement. Wir beraten uns gegenseitig. Und das was mich überzeugt, das machen wir dann.
Peter: „Dann bestimmst also du?“
Vater: „Nein!“
Liechti hat ein schwieriges Verhältnis zu seinen Eltern, er war der Junge, der früher immer rebelliert hat und ist der Mann, der, nach der Meinung seiner religiösen Mutter, vermutlich in der Hölle landen wird. Vaters Garten ist ein Film über einen Sohn, der versucht zu verstehen und eine den Gewohnheiten erlegene, persönlich gegensätzliche und auf die Geschlechterrollen fixierte Ehe, der nicht allein durch die Entfremdung der Szenen in Bild und Ton trocken und witzig eine verquere Familiensituation darstellt.
(Rebecca Hirneise)
Youlian Tabakov, Sweden / Bulgaria 2012, European Panorama Documentary 2013
Tzvetanka ist die Hauptfigur dieses verspielten Generationen-Portraits von Youlian Tabakov.
Aufgewachsen in einer Kaufmannsfamilie in Bulgarien, verbringt Tzvetanka eine ganz normale Kindheit, nimmt das Studium der Medizin auf, wird schwanger in Zeiten des zweiten Weltkrieges, und verdient ihren Lebensunterhalt als Ärztin unter dem kommunistischen Regime in Bulgarien.
Ein Film, stilistisch ständig wechselnd, mehr aber noch ein bebildertes Hörspiel, der mit wenigen aber sehr effizienten, wie einfach umgesetzten szenografischen Mitteln, Animationen, Landschaftsaufnahmen und frei aus der Hand aufgenommen Alltagsszenen, die Lebensgeschichte einer bewundernswerten Frau erzählt.
Als Zuschauer fällt es manchmal schwer, dem Sachverhalt des Films zu folgen, da Bild und Ton stellenweise fast gleichstark versuchen, sich den Rang abzutreten. Leider, tritt dabei das Verständnis für die historischen Ereignisse der Dokumentation in den Hintergrund. Die Bebilderungen sind zeitweise stark symbolisch, werden dem komplexen Sachverhalt der geschichtlichen Ereignisse aber nicht ganz gerecht. Leider verlieren die Bilder alsbald ihr spannendes Niveau und wirken beliebig, was aber die musikalische Untermalung wieder wettmacht. Der Film hat durchaus Potential, lässt dem Betrachter aber durch die Tautologie von Bild und Ton, kaum eigenen Deutungsspielraum.
Ein liebevoll bemühter, durchaus überambitionierter Film, gekoppelt an weise Erkenntnisse einer starken Frau, die ihrem Ende auf Erden gelassen und furchtlos entgegen sieht.
(Elenya Bannert)
Tom Shkolnik, Great Britain 2012, Wettbewerb / Competition 2013
The Comedien ist ein Film über das Leben eines Londoners, dessen Leben sich in letzter Zeit schwierig gestaltet. Er ist 30 Jahre alt und arbeitet in einem Call-Center, nebenbei versucht er sich als Comedien, tritt Nachts in verschiedenen Clubs auf. Er ist miserabel dabei. Darin zeigt sich, wie schlecht es um ihn steht. Er versucht ein lockerer Typ zu sein, doch merkt nicht, dass sein Leben gerade vor sich hinsiecht. Vielleicht weil aus dem erträumten Leben als Zwanzigjähriger, der alles leicht angeht und einmal Karriere als Comedien machen will, doch nichts geworden ist, und nun alles in etwas Halbgares, Improvisiertes gemündet ist.
Er bewegt sich in einem unreflektierten Zustand durch sein Leben, doch während sich die Geschichte weiter entwickelt, er seinen Job im Call-Center verliert, die Beziehungsgeflechte immer verstrickter werden und seine Stand-Ups immer schlechter, bemerkt er selbst, dass aus ihm eigentlich, in jeglicher Hinsicht, egal ob aus der Perspektive seiner Eltern oder seiner eigenen, nichts geworden ist.
Damit ist dieser Film auch ein Eingestehungsprozess.
Diese Grundthematiken bettet der Film in eine Dreiecksgeschichte zwischen dem Freund des Hauptprotagonisten und seiner Mitbewohnerin, die sich in ihn verliebt hat und er sich auch in einer Form in sie. Und in die mangelnde Entscheidungsbereitschaft des Hauptprotagonisten.
Die Geschichte an sich ist ziemlich klischeebeladen, was aber nicht weiter schlimm ist, da sie dadurch an Realitätsnähe gewinnt, denn die Geschichte, von der dieser Film erzählt, könnte überall in unterschiedlichen Formen stattfinden. Diese Unbedeutsamkeit des Plots macht den Film stark; er gewinnt an Allgemeingültigkeit. Er verkörpert das Bemühen um Zufriedenheit und Harmonie, nach dem Erreichen der selbst gesetzten Ziele und schlussendlich dem Scheitern an alldem.
(Phil Zumbruch)
London. Stimmengewirr, Tastaturgeklapper, Computer, Flackerlicht. Durch die Tür beobachtet man Ed, er telefoniert. Tagsüber arbeitet er in einem Callcenter und nachts tritt er als eher schlechter Comedian in unterschiedlichen Londoner Nachtclubs auf. Gemeinsam mit seiner besten Freundin Lisa, einer Sängerin, lebt der Anfang 30-jährige in einer Wohngemeinschaft. Nachdenklich und fast schon depressiv ist er ständig auf dem Weg von einem
Ort zum nächsten. Im Bus lernt er Nathan kennen, einen jungen Maler. Aus dem One-Night-Stand wird schnell eine leidenschaftliche Beziehung. Doch die Dinge verkomplizieren sich. Die innige Freundschaft zu Lisa wird intensiver und er verliert seinen Job im Callcenter. Als Comedian hat er noch immer keinen Erfolg und wegen Eds „Dreiecksbeziehung“ gerät das Verhältnis zu Nathan in die Brüche. Zu guter Letzt verliert er auch noch seine Wohnung und Lisa.
Zurück im Elternhaus soll er „The Comedian“ sein, Witze beim Abendbrot erzählen und von seiner Karriere berichten. Es wird gelacht und gegessen, doch eigentlich erfährt er nur das heimliche Mitleid der Eltern und die traurige Selbstreflexion. In einem Taxi fährt er nachts zurück nach London ohne ein wirkliches Ziel.
Die eher stereotypische Erzählung lebt durch die Einfachheit der behandelten Problematik und die Art der Inszenierung. Der israelische Regisseur Tom Shkolnik filmte ohne Drehbuch. Es gab eine Richtlinie, doch gearbeitet wurde eher an der Persönlichkeit der Akteure und deren Beziehung zueinander. Mit Stichworten wurden die Schauspieler ins Set gesetzt, ohne zu wissen, wie die Szene endet. Besonders heraus sticht eine Szene im Bus, in der das Paar, Nathan und Ed, von Jugendlichen beschimpft wird. Die Jugendlichen waren keine Schauspieler sondern Highschoolschüler, die der Regisseur anwies, so wütend zu sein, wie sie nur können. Daraus entwickelte sich im Bus ein heftiger Streit über Homosexualität, dessen Ausmaß das im Film gezeigte weit überstieg. Acht Wochen wurde in London gedreht. Die Schauspieler behielten ihre wirklichen Namen.
The Comedian ist ein Film über das Scheitern und ein Portrait der Einsamkeit. ‘Falling in love with the entire world’, so beginnt das Lied des Abspanns und gibt den Kern des Films wieder. Er beschreibt die Unmöglichkeit bzw. Unfähigkeit der Entscheidung eines Menschen, der vor hat, ewig frei und jung zu bleiben.
(Rebecca Hirneise)
Mädchen A: Furchtbarer Film, schon wieder wurde ein Tier geschlachtet.
Mädchen B: Immerhin ging es diesmal nicht um Homosexualität.
( auf der Straße aufgeschnappt )
L`enfant d`en haut / Sister / Winterdieb
Ursula Meier, Schweiz/ Frankreich 2012, European Panorama Fiction
Simon und Louise sind ein ungewöhnliches Paar. Beide leben in einem Hochhaus im tristen Tal eines Skiortes im Vallis. Simon, der 12 jährige Junge, verbringt seine Tage damit, im angrenzenden Luxusskigebiet zu klauen. Durch seine Arbeitsrutiene verdient er das nötige Geld, dass er und Louise sich die alltäglichen Dinge des Lebens leisten können.
Louise, seine ältere Schwester, verbringt die meiste Zeit außer Haus, auf der Suche nach einem fürsorglichen Mann. Verantwortungsvoll ihrem Brüder gegenüber handelt sie nicht, sondern ist vielmehr mit ihrer eigenen Entwicklung beschäftigt und verlässt sich auf das Geld der Hehlergeschäfte ihres Bruders.
Beide sehnen sich nach Zuneigung und Liebe. Beide gehen sie ihre eigenen Wege und bleiben dabei zusammen alleine. Die Beziehung des eingespielten Paars ist verwirrend und berührend. Man fragt sich als Zuschauer, wie lange die Geschichte so weiter erzählt werden kann, was die beiden so stark verbindet. Die unerwartete Wendung des Filmes konfrontiert den Zuschauer mit Fragen und macht betroffen.
Ursula Meier hat mit bewegenden Bildern eindrucksvoll die schicksalhafte Tristesse zweier Jugendlicher in einem zugrunde, aussichtslosen Leben beschrieben.
Die Gondel wird zum tragenden Element des Films. Der Ort zwischen Realität und einer höher gedachten, idealisierten Gesellschaft, in der sich Simon erfolglos versucht zu verankern.
Die schauspielerische Leistung der beiden Darsteller verleiht dem Film enorme Authentizität. Der Film verortet kontrastreich aber sehr feinfühlig, die zunehmend divergierenden gesellschaftlichen Missstände unserer Zeit.
(Elenya Bannert)










Alle Fotos (c) Benjamin Breitkopf